Wie dicht ist dicht? Ein Selbstversuch
Nach den langen, trockenheißen Wochen der erste Regen, geradezu eine Einladung, mal unter anderen Umständen Motorrad zu fahren. Wie dicht sind die „wasserdichten“ Kombis? Testobjekt ein „deutscher“ Textilanzug (also aus dem Land der Dichter und Denker), nach meinen Informationen in Vietnam gefertigt. Die Funktionsunterwäsche an, rein in den Zweiteiler, die Belüftungsöffnungen schließen, zwei an jedem Ärmel, je einer an den Brustseiten und ein langer quer über dem Rücken. Die Hose ohne besondere Lüftungsöffnungen. Der Frontreißverschluss besitzt zusätzlich eine breite Labyrinthfalte, darüber Druckknöpfe und Klettabschnitte. Direkt dahinter linksseitig eine mit Reißverschluss versehene Tasche, geeignet für ein Smartphone mit 5-Zoll-Anzeige. Die Seitentaschen, gekennzeichnet mit einem Aufnäher „waterproof“, haben zum Reißverschluss noch eine Faltenkonstruktion, gesichert mit Druckknöpfen. Die Hose, ebenfalls mit zwei Taschen ausgestattet, welche in ähnlicher Weise dem Wasser trotzen sollen. Dazu ein Windkragen (unter die Jacke), Sturmhaube und ein Polyesterschlauch am Hals. Gekrönt wird das Ganze mit einem Integralhelm, nebst Pinlock-Visier. Das untere Ende wird mit „wasserdichten“ Stiefeln geschützt. Die Handschuhe entstammen der Marke des zweiteiligen Anzugs. Letztere sind nirgendwo besonders bezüglich ihrer Wasserdichtheit gekennzeichnet, vielleicht besitzen sie eine Membran, vielleicht auch nicht. Der Fahranzug ist seit drei Saisons in Benützung, die bereits damit zurückgelegten Kilometer allerdings nicht nachvollziehbar.
Für den Test kommt ein Blatt Papier in die linke Jackentasche, in die rechte ein Stofftuch. Die oberen Außentaschen bleiben leer, die Smartphonetasche bekommt mutig ein Smartphone verpasst. In die Hosentaschen wird als Feuchteindikator ebenfalls Papier und etwas Baumwollgewebe eingesteckt, sodann alles sorgfältig verschlossen. Die Testbedingungen: ordentlicher, gleichmäßiger Landregen, kein leichtes Schauerchen, aber auch kein Wolkenbruch. Gemäß den in den Fachzeitschriften immer wieder zu findenden Hinweisen, verschwindet die Stulpe des linken Handschuhs unter dem Ärmel, rechts wird die Stulpe über den Ärmel gezogen. Das Testareal: die deutsche Landstraße. Vielleicht sollte ich noch dazu sagen, dass ich bei Regen zu einer extrem defensiven Fahrweise neige.
Die ersten Kilometer, wie zu erwarten, völlig ohne Auffälligkeiten. Die rechte Ellenbeuge meldete nach etwa 12 Kilometern eine gefühlte Feuchte. Wie sich herausstellen sollte, keineswegs nur gefühlt. Der linke Unterarm hatte einen Wasserzutritt schon nach rund 3 Kilometern gemeldet, soviel zum Thema Fachzeitschriftentipps. Nach etwa 20 Kilometern Feuchte im Schritt, kühle Feuchte um es klar auszudrücken. Wenig später ein ähnliches Gefühl an den Unterseiten der Oberschenkel. Kurz darauf begann es an der rechten Hand zu feuchten, Wasser kam über den Bereich des Stulpenkletts zum Handgelenk und in der Folge auch noch tiefer. Die XJ 900, welche ich wegen ihrer sanften Gasannahme als Gefährt ausgewählt hatte, war von alledem nicht beeindruckt, auch die Reifen machte nicht den geringsten Rutscher, wie gesagt, ich gehe unter diesen Witterungsbedingungen eher defensiv an Griff, Pedal und Hebel. Das gesetzliche Limit wurde ausgeschöpft, sicher kaum ein klein wenig mehr. Die Fahrt durchs verregnete Mittelgebirge machte ob der moderaten Temperaturen und des sehr geringen Verkehrsaufkommens sogar Spaß. Freude bereitete auch das Visier, trotz pausenloser Bewässerung, halb geschlossener Helmbelüftung und fortgesetzten Atmens, keine Tendenz zum Beschlag. Auch meine Brille blieb klar.
Ein kurzer Besuch am Schottenring, dort herrschte intensive Abreisestimmung und trübe Sicht, dann die Umkehr. Die Feuchtezonen hatten sich inzwischen weiter ausgedehnt, die Handschuhe kaum merklich gut und gleichmäßig durchfeuchtet. Wahrscheinlich keinerlei Membran verbaut, nur ein dezenter Hinweis auf besondere, vor Kälte schützende Isolierfasern ist gut sichtbar angebracht. Eine langsame Baustellenampel nebst heftigem Abreiseverkehr vom Schottenring-Grand-Prix, fügte etwas Standzeit in den Test. So nach und nach zog die Feuchte dann von der Sitzfläche der Schwerkraft folgend in Richtung Stiefel. Erstaunlich, der Halsbereich immer noch trocken, vielleicht auch durch die Tourenscheibe ein wenig geschützt. Die restlichen Kilometer dann unspektakulär, wenig Verkehr und gleichmäßiger Regen, Tempo am Erlaubten, meistens jedenfalls.
Die Bilanz nach 75 Kilometern und einer guten Stunde: Nass. Membran hin, Membran her, Feuchte fast überall. Die Handschuhe hatten die Konsistenz eines bewässerten Badeschwamms, da ist wirklich keine Membran drin. Die Unterwäsche war, und darin bewies sie sich als gutes Feuchtemessgerät, bis auf einen Bereich am Rücken – wie weiland bei Siegfried bei der Panne mit dem Drachenblut - nass. Die Stiefel hielten definitiv dicht, allerdings war von oben Wasser in die Schäfte vorgedrungen, aber nur das Gesamtpaket zählt, das ist hier nicht anders als in der Formel 1.
Alle Testpapiere und –tücher waren gut durchfeuchtet, wenn auch nicht tropfnass. Das Smartphone im unteren Drittel nass, wenngleich funktionstüchtig. Waterproof meint eben doch nur, dass mit Wasser geprüft wurde, über das Prüfungsergebnis belässt man den Kunden im Unklaren.
Fazit: Das Membranzeug ist nicht dauerhaft dicht, hält vielleicht bis zur nächsten Brücke. Ich sollte ergänzen, dass aus der Vergangenheit ähnliche Erfahrungen mit anderen Anzügen vorliegen, es sich somit nicht um einen Einzelfall handelt. Um eine Regenkombi kommt man offensichtlich trotz aller High-Tech-Membranen nicht herum.
Sollte jemand einen andere, d. h. bessere Erfahrung gemacht haben, so wäre ich um eine entsprechende Produktempfehlung sehr verbunden. Regen ist schließlich nicht die Ausnahmeerscheinung und kann schon mal ein paar hundert Kilometer anhalten.
Die genau inspizierten Koffer (original Yamaha) und das Top-Case waren besser dabei, lediglich an einem Koffer eine kleine Portion Wasser, vielleicht kann das mit einem neuen Dichtring (woher?) abgestellt werden.
_________________ 41Y (Erstbesitz) 88PS (Hengste)
4BB 92PS (Wallache, Stuten und Fohlen)
Science flies you to the moon, religion into buildings.
Was ich messen kann, das existiert. Max Planck
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